Kill Billy (2014) – IKEA als Hilfe zur Sinnkrise

Schaut man sich den Trailer zur Kill Billy an und versteht den Wortwitz des Titels, kommt schnell der Gedanke, es handele sich um einen Film, in dem es um IKEA und dessen Auswirkungen oder Machenschaften geht. Dabei geht es in dem Film hauptsächlich um Harold, der nach dem Verlust seines Geschäftes und seiner Frau beschließt, Ingvar Kamprad zu entführen. Er sieht der in der Eröffnung eines neuen IKEA Marktes direkt nebenan die Ursache für seine Verluste. IKEA dient als Aufhänger für die Geschichte von zwei alten Männern, die es jeweils versäumt haben, etwas Sinnstiftendes außerhalb der Arbeit zu finden.

IKEA Kritik

Aber fangen wir mit der IKEA Kritik als Aufhänger an. Harold hasst IKEA und hält die Möbel der Kette für billigen Pfusch, für Betrug und überhaupt IKEA und Kamprad ursächlich für seine Pleite und den Tod seiner Frau. Immerhin ruiniert der nebenan neu gebaute IKEA sein 40 Jahre altes Möbelgeschäft. Bei einem kurzen Besuch der Familie seines Sohnes zerbrechen auch prompt einige IKEA Möbel und Harold scheitert fluchend an deren Reparatur. Wer schon einmal IKEA Möbel hatte, erkennt sich in der Szene wieder. Sein Sohn Jan bringt aber den ersten Gegenpunkt, nicht jeder kann sich Harolds hochwertige Möbel leisten.

Auf irrwitzige Weise schafft es Harold, zusammen mit der Zufallsbegegnung Ebba, den IKEA Gründer zu entführen und die Welten der beiden alten Männer treffen aufeinander. Harold wiederholt seine Vorwürfe, Pfusch und minderwertiger Schrott, und zwingt Kamprad sogar eine Videobotschaft aufzunehmen, in der er sich für seine Möbel entschuldigen soll. Der allerdings rühmt sich darin für die Schaffung von Tausenden Arbeitsplätzen und die Tatsache, erschwingliche und moderne Möbel für kleine Geldbeutel anzubieten. Kamprad steht zu sich und lässt sich von Harold kaum beeindrucken, wenn er zwischendurch über die Länge von Bleistiften und deren Sparpotential sinniert.

Als Harold die Sinnlosigkeit der Entführung einsieht und Kamprad gehen lässt, lädt dieser ihn in den örtlichen IKEA ein und beide finden eine Art Détente miteinander. Kamprad gibt sogar zu, billige und wenig haltbare Möbel zu verkaufen und vergleicht diese mit Menschen, die auch alt werden und kaputtgehen. Zudem wollen die Menschen ja auch nicht mehr „ein Leben lang“ mit denselben Möbel wohnen. Letztlich vertreten beide je eine Seite der Wahrheit. IKEA Möbel sind zwar schick, preiswert und modern, aber werden auch schnell aussortiert. Harolds Möbel halten ewig, aber sind einfach nur altmodisch und derart ausgestattete Räume verändern sich nicht mit ihren Bewohnern mit.

Harold, Ebba und Kamprad

Und damit haben wir die perfekte Überleitung von IKEA-Kritik zu Harold und Kamprad. Beide sind auf ihre Art altmodische Möbel, die zwar ewig halten, aber einfach nicht mehr modern sind und sich schwer anpassen können. Harold hatte außer dem Geschäft und seiner Frau keinen Sinn im Leben mehr. Kein Wunder, dass er zunächst versucht, seinen Laden und sich anzuzünden. Auch die Entführung hat nicht wirklich einen geplanten Zweck, außer dass Harold seinen Frust direkt an Kamprad auslassen kann. Aber der kann ihm ja letztlich auch nicht helfen.

Der IKEA Gründer ist ein ebenso ein altes Möbelstück, welches ewig hält, aber nicht mehr zeitgemäß ist. Er nimmt die Entführung ziemlich locker auf und erklärt Harold und Ebba, wie man die Presse anlockt. Man hat fast den Eindruck, ihm macht die Entführung irgendwie Spaß. Zumindest bringt sie wohl Aufregung in sein Leben. Es wird deutlich, dass Kamprad mehr oder weniger nur noch PR macht bzw. seine Märkte besucht, um die Belegschaft zu motivieren. Zugleich drängen seine Kinder darauf, das Geschäft endlich komplett übernehmen zu können. Kamprads Beharren auf seiner Erfahrung hilft da auch nicht weiter.

Auf dem Weg nach Schweden läuft Harold einem 16-jährigen Mädchen (Ebba) über den Weg und fährt sie in die Stadt zurück. Dort hilft er ihr unfreiwillig dabei, einen der Ex-Freunde ihrer alkoholabhängigen Mutter zu vertreiben. Auch Ebba weiß nicht so recht, was sie mit ihrem Leben anfangen soll, kümmert sie sich doch eigentlich nur um die Probleme ihrer Mutter. Harold und sein Entführungsplan erscheinen auch ihr ähnlich wie Kamprad als willkommene Ablenkung. Sie hat noch gar keinen eigenen Platz oder wenigstens eine Idee von sich im Leben gefunden, jede andere Aufgabe, egal wie töricht kommt ihr gelegen.

In der Versöhnungsszene zwischen beiden Männern im IKEA Markt überkommt auch Kamprad eine Sinnkrise und er versucht den Laden, wie Harold, abzufackeln. Dieser stoppt ihn und beide legen sich im IKEA Markt schlafen, Kamprad der alte Geizhals fordert Harold noch auf, das Licht überall auszumachen. Dieser scheint aber endlich zu erkennen, dass Kamprad nicht die Lösung seiner Probleme sein wird (und genügend eigene hat) und kehrt zu seinem mittlerweile in Scheidung lebenden Sohn zurück, der ihn ohne große Worte in die Wohnung bittet. Harold hat wohl einen neuen Sinn für sein Leben gefunden, er versucht es zumindest.

Für wen oder was lebt man eigentlich?

Alle drei Charaktere leben fast nur für die Außenwelt bzw. finden ihren Sinn nur über eine oder wenige Aufgaben. Harold mit seinem Laden und seiner Frau, Kamprad der immer noch auf Relevanz und Erfahrung pocht, anstatt wie erwartet in Rente zu gehen und Ebba, die noch gar nichts für sich finden konnte, weil sie sich um ihrer Mutter kümmern muss. Für die beiden alten Männer ist es tragisch, ihren einzigen Sinn zu verlieren. Harold sehr plötzlich, mit einer entsprechenden Reaktion seinerseits und Kamprad schleichend, aber letztlich auch in einer Kurzschlusshandlung mündend.

Nur für Ebba wäre es eine Befreiung, sich ihrer „alten“ Aufgabe zu entledigen. Vielleicht hat sie durch die beiden Männer und ihre Mutter, welche allesamt mehr der Vergangenheit angehaftet blieben als nach vorn zu schauen, etwas gelernt. Kamprad blieb wohl wie er ist, aber Harold scheint etwas begriffen zu haben, wenn er am Ende versucht den Kontakt zu seinem Sohn neu aufzubauen.

Ein absurder, tragisch-komischer Film, der dem Aufbau von IKEA Regalen eine völlig neue Dimension gibt. Und eine wichtige Lektion: Bleibe nicht an der Vergangenheit krampfhaft hängen und habe mehr als nur einen Sinn im Leben.

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