Daddy Island

Reality-TV mit Qualitätsanspruch ist selten geworden. Die Evolution des Voyeurfernsehens musste seit der ersten Sexszene zwischen Alex und Kerstin im Big Brother House zwangsläufig bei dem Konzept enden, welches nun in Dutzenden Variationen produziert wird. Mehr oder weniger nackte Menschen irgendwo am Strand oder in einer Mittelmeervilla lernen sich kennen, zeigen ihre Körper, machen markige Sprüche, haben Dramen und Sex.

Deswegen ist es jetzt Zeit für ein völlig neuartiges Konzept der Nacktdatinghows. Oder zumindest einen Twist über den auch Sigmund Freud lachen würde. Viel nackte Haut, Flirten, Drama, Sprüche, aber garantiert keinen Sex gibt es jetzt bei: Daddy Island!

Zehn maskuline »Daddys« um die 40, vornehmlich tätowiert und mit Fitnessstudiokörper, welche sich nicht schämen zuzugeben, dass sie auf geile junge Mädels stehen, stellen sich vor. Die Männer wollen was Frisches flachlegen und präsentieren sich entsprechend vor der Kamera. Zehn Alpha-Männchen im Jagdfieber. Volle Punktzahl für Peinlichkeit, aber keine Sorge, es gibt genügend Zuschauer, die sich mit den Proletenpoeten („du bist wie eine rote Chili … süß und scharf“) der Midlife-Crisis stolz identifizieren.

Auf der anderen Seite treffen wir auf zehn junge Frauen mit einer klaren Vorliebe für solch ältere Männer, die ihnen zeigen, wo es lang geht, die Kohle haben oder einfach nur von sich behaupten, richtig erfahren im Bett zu sein. Die Mädchen brauchen jemanden, der sich mal so richtig um sie kümmert und unsere zehn Daddys stehen bereit. Im wahrsten Sinne des Wortes. Wem in der Kindheit eine Vaterfigur gefehlt hat, muss sie sich eben als Erwachsene suchen. Ob unsere Daddys diese Erwartung erfüllen können? Sicherlich nicht, aber es wird sie nicht davon abhalten, es zu versuchen.

Und hier kommt der Twist: Die jungen Frauen sind die Töchter unserer zehn männlichen Vorzeigeväter.

Wir Zuschauer können uns darauf freuen, wie die Daddys in einem Moment versuchen eine zwanzig Jahre Jüngere klarzumachen, nur um kurze Zeit später ihre jeweiligen Töchter von den andern Typen fernzuhalten. Wir können das erbärmlich selbstsichere Gebaren der Alpha-Männchen („Kannst du Spanisch? … Ich kann es zumindest Despacito hahaha …“) um die Gunst der sexuell unfassbar anziehenden jungen Frauen fremdschämend goutieren, gleich gefolgt von adrenalintreibenden, körperlichen Auseinandersetzungen, um die Unschuld des eigenen Nachwuchses zu schützen.

Um die Sache zu toppen, sind drei der jungen Frauen unbekannterweise Töchter der anderen Daddys aus einem längst vergessenen One-Night-Stand. Die Auflösung gibt es erst, wenn die beiden schon am Rumturteln sind. Warum soll sich die Show noch zurückhalten? Reality-TV zeigt die Abgründe menschlichen Verhaltens. Und unsere armen Daddys, gefangen zwischen Libidoübersprung und Beschützerinstinkt, können gar nicht mehr anders.

Ein Rätsel bleibt jedoch: Wie haben es diese Männer geschafft überhaupt Kinder zu zeugen? Vielleicht war es einfach nur ein Versehen. „Wollte ja nie Kinder haben, aber jetzt tue ich alles, damit der Maik meine Leonie nicht begrabscht“, so wird einer der Kandidaten seine väterliche Abwesenheit kompensieren (während die Kamera zeigt, wie der Blick für einen Moment zeitgleich auf den Po einer anderen Kandidatin fällt).

Daddy Island wird die erste Show, bei der definitiv nichts laufen wird außer peinlicher Anmache, sexueller Verwirrung und Prügeleien. Am Ende haben die Töchter gar keinen Respekt mehr vor ihren Vätern, wenn sie denn überhaupt welchen hatten. Und wer weiß, nach diesen Erfahrungen, haben wir vielleicht zehn neue Kandidatinnen für Princess Charming.

Was die Zuschauer angeht. Nun ja, wer beim Titel Daddy Island freiwillig einschaltet, sollte mindestens die eigenen Fernsehgewohnheiten hinterfragen.

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