Persönliches

Über Politik diskutieren?

Ich hatte kürzlich gute Freunde zu einer Feier eingeladen. Wie üblich kam das Thema Politik auf. Ich habe mein Privileg als Gastgeber ausgeübt und ein Themenveto eingelegt. Daraufhin kam die Anmerkung, dass oft die Themen Sex, Religion und Politik gemieden oder mit Samthandschuhen angefasst werden. Ich meinte dazu, dass Sex und Religion als Themen gern gehört sind, aber ich, trotz eigenem Interesse und Wunsch, Diskussionen über Politik oft als fruchtlos und frustrierend erlebe und daher mein Veto eingelegt habe. Leider (oder für den Abend vielleicht ganz gut so) konnte ich diesen Punkt nicht weiter ausführen. Das hole ich hiermit nach.

Politische Diskussionen empfinde ich oft als unbefriedigend bzw. fruchtlos, da mittlerweile viele Menschen diese Themen in einer Art luftleeren Raum diskutieren. Die Argumente schweben umher und sind nirgends mehr angemessen verankert. Ich glaube, viele stecken schon so tief in den Narrativen unserer politisch-medialen Welt, dass sie den Boden gar nicht mehr sehen können. Was meine ich damit?

Spätestens seit der Antike führen wir immer wieder grundlegende Debatten über das Verhältnis von Staat und Individuum. Durch viel Diskutieren, aber auch Experimentieren, durch Reformen, Revolutionen, Briefe, Bücher und simples Handeln der Menschen haben wir versucht dieses Verhältnis immer genauer zu bestimmen. Heute führen wir diese Debatten kaum noch bzw. haben die Ergebnisse der vergangenen Debatten zum Teil wieder vergessen. Man könnte fast sagen, die Debatten erscheinen vielen als überflüssig, denn schließlich leben wir ja schon in einer Demokratie. Wir haben das Ziel erreicht.

Da wir diese Debatten scheinbar etwas verlernt haben, macht dies nun politische Diskussionen eben fruchtlos und frustrierend. Denn vielen Menschen fehlt es einfach, sich mit dem Verhältnis zwischen Staat und Individuum ganz grundsätzlich auseinandergesetzt zu haben. Aber gerade das ist notwendig, um für sich selbst hinreichende Prinzipien, Axiome geradezu, erschlossen zu haben, die zwingend notwendig sind, um die aktuellen politischen Fragen überhaupt konsistent und ausreichend durchdacht diskutieren zu können. Sie sind sozusagen die Anker der Diskussion.

Stattdessen werden oft nur halb durchdachte Argumente ausgetauscht, Gefühle zum Thema post-hoc rationalisiert oder ideologische Narrative als Letztbegründung vorgetragen. Oder es endet mit einem schulterzuckenden „Über Politik streiten bringt ja eh nichts“. Dies sollen nun keine Gründe sein, auf politische Diskussionen zu verzichten. Aber um wirklich über ein Thema erstmal diskutieren zu können, muss man es bis auf den Grund führen, um zu schauen, wo es ideengeschichtlich verankert ist. Und das ist der frustrierende Teil.

Denn meine Erfahrung ist, dass genau das viele Menschen gar nicht wollen. Natürlich nicht bewusst, aber die Abwehr ist trotzdem da. Denn es ist unangenehm. Unweigerlich würde man zur Frage kommen, wer man als Mensch ist und wie man sich im Verhältnis mit anderen Menschen sieht. Schnell kommt zum Vorschein, dass hinter vielen scheinbar gut argumentierten Positionen am Ende doch nur diffuse Gefühle von „es fühlt sich halt richtig an“ stehen. Oder es ist eben doch Ideologie, ohne dass sich die Menschen dessen wirklich bewusst sind. Und an den wackeligen Grundpfeilern der Ideologie zu rütteln, was jede ernsthafte politische Diskussion tun wird, ist für viele Menschen sehr schmerzhaft. Denn Ideologie ersetzt Zugehörigkeit, befriedigt scheinbar die unerfüllt gebliebenen Bedürfnisse und wird so Teil der Persönlichkeit.

Und mittlerweile ist mir klar, dass dieser Prozess, also Gefühle und Ideologien durch echte Prinzipien und Erkenntnis zu ersetzen, nicht nur ziemlich unangenehm sein kann, aber vor allem auch sehr lange dauert. Ein gemütlicher Abend mit Freunden ist oft nicht mehr der passende Rahmen dafür. Obwohl es natürlich schade ist, denn eigentlich genau dafür sitzt man auch im Freunden zusammen und redet. Aber der Weg dorthin, wirklich miteinander über Politik diskutieren zu können, ist vielleicht schon zu lang und zu schwer geworden. Oder vielleicht habe ich einfach nicht die Kraft und die Muße dafür, es in Gruppen überhaupt noch zu versuchen.

Es wäre schön, wenn wir alle doch mehr Mut dafür hätten. Beim nächsten Mal vielleicht.