Die Flutpreisstrategie

Früher mochte ich das Einkaufen im Internet. Mittlerweile ist es etwas, dass ich gerne vermeiden würde, ist bleibt aber oft ein notwendiges Übel. Freude entsteht da eher weniger. Einer der Gründe dafür, ist eine bestimmte Preisstrategie, welche insbesondere Anbieter von nicht spezifischen Gütern, anwenden. Nicht spezifische Güter sind so etwas wie Kleidung, Möbel, Zubehör, Deko, Utensilien und so weiter, sofern es keine authentischen Markenprodukte sind. Meist sind es keine klar abgegrenzten und eindeutigen Markenprodukte, sondern Waren, die oft von einem Hersteller stammen, aber von mehreren Resellern (Weiterverkäufern) unter eigenem Namen vermarktet werden. Ein Beispiel macht es klar.

Ich suche im Moment nach einem Kinderbett. Es soll ein halbhohes Hochbett mit etwas Stauraum sein. Davon lassen sich im Internet Hunderte verschiedene Betten finden. Dieses hier weckte mein Interesse:

Leider nicht ganz mein Budget, aber vielleicht ist das hier auch interessant?

Moment mal! Ist das nicht ziemlich genau das gleiche Bett? Für 500 € oder 37 % weniger?

Na das ist schon eher mein Budget und bis auf die Farben und Griffstücke sieht es den beiden anderen Betten verblüffend ähnlich. Und wenn man die Beschreibungen und Fotos genauer analysiert, wird schnell klar, es handelt sich um eine und dasselbe Produkt.

Weder Unique, noch QMM noch Feldmann stellen dieses Bett her, sondern kaufen es von einer Art „White Label“ Hersteller der Möbelbranche. „White Label“ sind Produkte, die ohne Markennamen für diverse Weiterverkäufer produziert werden. Diese übernehmen dann unter ihrem Namen Vermarktung und Vertrieb. Oft bieten die „White Label“ Hersteller schon den Service an, die Produkte unter den jeweiligen Namen zu fertigen. Und wer hat sowas im Internet nicht schon gesehen oder? Hier fühlt man sich als Kunde ja im Grunde schon übers Ohr gehauen. Warum gibt es dieses Phänomen gerade online so häufig?

Ein wirtschaftshistorischer Exkurs ist zunächst angebracht. Im Zeitalter vor dem Internet hatten die Menschen (in den Industrieländern) Zugang zu vielleicht zwei oder drei Möbelhäusern und ein paar kleineren Geschäften. Diese Händler haben sich dann auch noch im Preissegment unterschieden und entsprechend unterschiedliche Waren angeboten. Wirkliche Preisvergleiche zwischen den Geschäften waren im Grunde nicht möglich und auch innerhalb eines Möbelhauses gab es nicht Dutzende Produktvarianten, die sich vergleichen ließen. Ein wenig Konkurrenz stellten die Versandkataloge dar, aber auch deren Angebot war begrenzt und viele Kunden schlossen diese Kaufform aus.

Was war die Folge davon? Die Händler hatten relativ viel Spielraum, um entsprechende Gewinnmargen zu kalkulieren. Die Kunden konnte eben kaum Preise vergleichen. Diese Intransparenz des Marktes erlaubte es den Händlern, höhere Preise durchzusetzen, als sie es unter freiem und transparentem Wettbewerb hätten tun können. Man nennt dies monopolistischen Wettbewerb und viele Produkte und Märkte lassen sich damit beschreiben.

Dann kam das Internet und die Möglichkeit, Preise umfänglich und schnell zu vergleichen. Dank Preisvergleichsportalen mussten sich Konsumenten nicht mal die Mühe machen, die Webseiten von verschiedenen Anbietern aufzusuchen. Kein Möbelhaus war mehr in der Lage, außerhalb des höherwertigen Markensegments, hohe Gewinnmargen zu realisieren. Für Standardmöbel entstand ein immenser Konkurrenzdruck, welcher die Preise sinken ließ. Gut für die Kunden, nicht so toll für die Händler. Und die haben einen Weg gefunden, zumindest einen Teil ihrer alten Gewinnmargen zurückzuholen. Mit der, ich nenne sie mal, Überflutungspreisstrategie.

Das Internet erlaubt zwar blitzschnelle Preisvergleiche, aber ab einer bestimmten Menge an Produkten ist es den meisten Menschen nicht mehr möglich, wirklich alle Produkte und Preise zu erfassen und zu vergleichen. Allein bei Otto gab es Hunderte Angebote an Hochbetten für Kinder. Niemand blättert durch alle Seiten, die meisten hören nach wenigen Seiten auf. Das wird nicht besser dadurch, dass die Internethändler auch noch jeder Farbvariante einen Eintrag in der Ergebnisliste zukommen lassen und so die Anzahl der zu überschauenden Produkte aufblähen. Die Händler auf Plattformen wie Otto, Amazon, Zalando und so weiter versuchen nun, auf die oberen Ränge der Suchergebnisse zu kommen. Dort, wo die Leute noch hinschauen und klicken. Wer durch geschicktes Marketing das gleiche Produkt für 1500 € auf der ersten Seite platziert, während ein Konkurrent für 1000 € auf Seite fünf stecken bleibt, ist klar im Vorteil.

Aber nicht nur das, die Plattformen selbst präsentieren den suchenden Konsumenten entsprechend bepreiste Produkte, da jeder von uns durch den Browser, die Endgeräte, unseren Ort usw. in eine bestimmte Einkommenskategorie eingeteilt wird. Wen der Algorithmus als Gutverdienenden einstuft, bekommt die 1500 € Betten zu sehen, wer aus der Plattenbausiedlung mit einem alten Handy sucht, hat Glück, und bekommt die 800 € Betten angezeigt. Auch werden durch Markenauftritt, Webseitengestaltung und allgemeines Preisniveau entweder „Qualität“ oder auch Tiefpreisatmosphäre suggeriert. Die Produkte bleiben aber gleich. Nur die Webseite, der „Markenlook“ und die Preise ändern sich.

Und diese Strategie wirkt auf zusätzlich noch auf eine fast schon perfidere Weise. Aufgrund der unzähligen „Marken“ (welche mittlerweile beliebig und austauschbar sind) versuchen Kunden, die Angebotsflut durch geistige Filter in den Griff zu bekommen. Und Preis ist ein wichtiger Filter. In Ermangelung echter Erfahrung mit den „Marken“ und der Unmöglichkeit, die Produkte in Augenschein zu nehmen, wird der Preis oft zum Kriterium für Qualität. Wer keine billigen Schrottmöbel haben möchte, filtert z.B. alle Betten unter 1000 € raus. Aber wie das Beispiel oben zeigt, erhält man dennoch billige Pressplattenware und zahlt noch obendrauf.

Wer billig kauft, der kauft wie immer zweimal. Und wer teuer kauft, vielleicht auch.

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