Ein historisches Ereignis miterleben?
Wer kennt nicht die lustigen Kartenspiele, bei denen man sich als Paar oder unter Freunden und Familie verschiedene Fragen vorliest, um sich damit besser kennenzulernen. Für mich liegt der Spaß dieser Spiele allerdings mehr darin, entweder die Fragen selbst zu hinterfragen bzw. möglichst absurde Antworten zu finden. Oft aber wiederholen sich die Fragen bei den verschiedenen Spielen, so wie die folgende Frage:
Wenn du ein historisches Ereignis miterleben könntest, welches wäre es?
Diese Frage ist genauer betrachtet sinnlos, mal abgesehen von der Unmöglichkeit einer Zeitreise. Das Problem ist, wäre es denn möglich zum Beispiel bei der Enthauptung von Marie Antoinette anwesend zu sein, wir dieses Ereignis gar nicht »miterleben«. Wir als Personen aus der Zukunft sind nicht im Moment, wir fühlen nicht die mögliche historische Signifikanz, wir empfinden keine Hoffnung und haben keine Befürchtungen, was dieses Ereignis für die Zukunft bedeuten wird. Wir wissen es nämlich schon und können das Ereignis also nur noch aus historischen Interesse anschauen, aber keineswegs miterleben.
Hinzu kommt, dass wir Ereignisse als historisch bedeutsam werten, die Menschen der Zeit sich dessen aber oft noch gar nicht bewusst sind. Ich selbst habe den Fall der Mauer als Kind sehr deutlich miterlebt. Meine Eltern hörten die Worte von Günter Schabowski und eine Stunde später standen wir an der Bornholmer Brücke. Mir war überhaupt nicht klar, was da passiert ist und dass ich eines der großen Ereignisse des 20. Jahrhunderts miterlebt habe. Die Bedeutung dessen, was ich da erlebt habe, erschloss sich erst Jahre später. Auch die Anschläge des 11. Septembers, medial miterlebt, wurden erst in rückblickender Betrachtung zu einer historischen Zäsur.
Meine Antwort ist daher meistens ein Schulterzucken. Ich habe schon genügend historisches Ereignisse miterlebt. Das reicht für ein Leben. In die Vergangenheit reisen und alte Ereignisse anschauen ist für mich so wie Kino, nur irgendwie langweiliger und unbequemer.