Die Psychologie der »Ersten Direktive« in Star Trek

In Star Trek – vor allem bei Star Trek: The Next Generation – spielt die im Deutschen sogenannte »Erste Direktive« (engl.: Prime Directive) eine prominente Rolle. Sie ist die überragende Regel der fiktiven Föderation der Planeten. Sie entspringt dem Nichteinmischungsprinzip des Völkerrechts, soll heißen: Staaten dürfen sich nicht in die internen Angelegenheiten anderer Staaten einmischen. In der ideengeschichtlichen Entwicklung steht die »Erste Direktive« in der Tradition des Anti-Kolonialismus.

Aber um diese politische Seite soll es gar nicht gehen. Denn wie Captain Picard (einer der Protagonisten der o. g. Serie) sagt, ist die »Erste Direktive« mehr als nur ein Gesetz. Sie ist eine Philosophie und dazu noch eine sehr korrekte. Was meint Picard damit?

Im Star Trek Universum existieren Welten, Völker und Gesellschaften auf unterschiedlichen Entwicklungsständen – von primitiven Agrargesellschaften über jene kurz vor der Fähigkeit der interstellaren Raumfahrt bis hin zu ausgedehnten Weltraumzivilisationen. Die »Erste Direktive« untersagt eine Einmischung in die natürliche Entwicklung dieser Gesellschaften. Zumindest so lange, bis diese durch den technischen und gesellschaftlichen Fortschritt fähig sind, ein Teil der interstellaren Gemeinschaft zu werden (In Star Trek erfordert das zumeist die Fähigkeit zur bemannten überlichtschnellen Raumfahrt.). Ab diesem Punkt gelten die Gesellschaften als fähig, mit auch technisch überlegenen Welten in Kontakt zu treten und zu verhandeln.

Die »Erste Direktive« wird so streng ausgelegt, dass selbst Katastrophen (oft von der jeweiligen Spezies selbst mitverursacht) von der technisch überlegenen Föderation bzw. der Sternenflotte nicht aufgehalten werden, da auch dies die natürliche Entwicklung verändern würde. Ein immer wieder gern genommener Spannungsbogen in den einzelnen Folgen. Auch ein aus unserer Sicht moralisch oder ethisch fragwürdiges Handeln innerhalb einer Zivilisation wird toleriert, obwohl die Crew des Raumschiffs Enterprise und wir als Zuschauende oft um mögliche Lösungen wissen. Aber in Star Trek haben die Menschen aus ihrer Geschichte gelernt und sind beim Eingreifen sehr zurückhaltend. Warum?

Die »Erste Direktive« berücksichtigt unsere epistemologische Blindheit. Wir können nicht alle Folgen unseres Handelns (und des der anderen Zivilisation) abschätzen. Vor allem aber steht es der Föderation nicht zu, über die Werte und Regeln fremder Spezies zu urteilen und diese vielleicht noch als »veraltet« oder »barbarisch« abzustempen. In Star Trek hat sich die Menschheit vom Urteilen über andere verabschiedet. Natürlich haben einzelne Charaktere ihre oft auch deutlichen Meinungen, das gibt ihnen aber dennoch nicht das Recht, über andere Welten, Spezies und Kulturen zu urteilen und zu entscheiden.

Selbst der mögliche Untergang einer Zivilisation durch natürliche oder gemachte Katastrophen ist keine Legitimation für Eingriffe. Möglich, dass der Untergang einer Spezies Raum für den Aufstieg einer anderen gibt. Dies abzuschätzen, obliegt uns in der fiktiven Zukunft nicht, es ist ohnehin unmöglich. Der Föderation ist es nicht erlaubt, mit ihrer technologischen Überlegenheit Gott zu spielen.

Dieses Prinzip findet sich in Star Trek auch im zwischenmenschlichen Bereich, wenn auch weniger strikt, da es kein explizites Gesetz ist. Der Respekt vor der Autonomie jedes intelligenten Lebewesens ist überragend. Für die Föderation, bestehend aus hunderten unterschiedlichen Spezies und Kulturen, geht es gar nicht anders. Die Kultur, Werte, Psychologie, Empfindungen von »Aliens« sind einander zu fremd. Der einzige Weg, damit diese verschiedenen Wesen friedlich koexistieren können, ist ein fast schon radikales Prinzip der Nichteinmischung in die Autonomie des Individuums (oder eines Kollektivs bei entsprechenden Kollektivspezies). Denn wir können es nicht besser wissen oder wir wissen nicht, wann wir es besser wissen und wann nicht.

Und eigentlich müsste diese Radikalität, basierend auf dem ultimativen Nichtverstehen des anderen, auch unter uns Menschen gelten. Und ich denke, Star Trek will diesen Punkt machen. Denn eigentlich wissen wir nicht wirklich, was »gut« oder »richtig« für andere Menschen ist. Wir mögen es ahnen, vermuten oder nachfühlen. Aber wir wissen es nicht und wir könnten uns irren. Aber wenn wir es nicht wissen, haben wir dann das Recht, in das Leben anderer einzugreifen und in, wie wir meinen, »bessere« Bahnen zu lenken? Vielleicht machen wir es ja nur schlimmer? Vielleicht haben wir nur unsere eigenen Werte, Ziele, Gefühle und Präferenzen auf die andere Person gerichtet, weil wir die Motivationen anderer nie vollständig verstehen werden können.

In Star Trek hat die Autonomie und Nichteinmischung auch zwischen Menschen einen hohen Rang. Hilfe und Unterstützung wird selbstverständlich und oft mit hohem persönlichen Einsatz gegeben. Aber nur, sofern die Person danach fragt und sie aus ihrer eigenen Autonomie heraus einfordert und annehmen will. Wenn nicht, wird akzeptiert, dass sich Menschen (und Aliens) selbst schaden und oft erst dann Einsicht in die Unterstützung durch Dritte entwickeln. Manchmal scheitern die Charaktere vollständig. Eine Rettung gegen ihren Willen findet nur in Ausnahmefällen statt. Scheitern ist Teil der »human(oid) condition«.

Immer wenn ich Star Trek schaue, zumindest bei einigen Folgen, komme ich auch ins Grübeln, wie sehr es mir zusteht, über die kleinen und großen Entscheidungen anderer Menschen zu urteilen oder – vielleicht sogar gut gemeint – einzugreifen. Vielleicht wäre eine etwas agnostischere und neutralere Haltung gegenüber den Werten, Zielen, Motivationen und Handlungen anderer eine ganz sinnvolle Einstellung?

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